Peter Prange ist ein sehr erfolgreicher Bestsellerautor, der schon viele historische Romane veröffentlicht hat. Auch ich habe seine Bücher verschlungen und war sehr stolz darauf, dieses Interview mit ihm führen zu dürfen.
Von Peter Prange habe ich mehrere Bücher gelesen.
Hier eine ausführlichere Rezension zu:
Gerade erschien Ihr neuer Roman Himmelsdiebe. Welchen Stellenwert hat er für Sie ganz persönlich?
Im Leben eines jeden Autors gibt es ein oder zwei Bücher, die über alles entscheiden. In meinem Fall sind dies Das Bernstein-Amulett – und Himmelsdiebe. Das Bernstein-Amulett hat entschieden, ob ich ein Autor bin, Himmelsdiebe wird entscheiden, was für ein Autor ich bin.
Sie sind vor allem für Ihre historischen Romane bekannt. Für Die Principessa, Die Philosophin, Die Rebellin, Der letzte Harem und zuletzt Die Gottessucherin. Was hat Sie dazu bewogen, sich jetzt mit Himmelsdiebe einem anderen Stoff zuzuwenden?
Nach fünf klassischen historischen Romanen kehre ich mit Himmelsdiebe dorthin zurück, wo ich mit dem Bernstein-Amulett angefangen habe: in die Mitte des 20. Jahrhunderts – in die vielleicht spannendste Epoche, die es je in Europa gegeben hat. Insofern stellt dieser Roman keinen völligen Neubeginn dar, eher eine Art schriftstellerischer Wiedergeburt. Abgesehen davon kann ich mir ja nicht aussuchen, welche Geschichten von mir geschrieben sein wollen. Hört sich komisch an, ist aber so. Plötzlich ist der Stoff da, eine Anekdote, eine Randnotiz in einer wissenschaftlichen Abhandlung, eine Begegnung auf Reisen, was auch immer – stets ist es eine Geschichte, die ich selber gerne lesen würde. Und ich wundere mich, warum sie noch kein anderer Autor geschrieben hat. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, ob das Thema etwas in meinem eigenen Innern zum Klingen bringt, auf eine Resonanz in mir trifft, die mich zum Schreiben zwingt. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob es sich um einen Stoff handelt, der im 16. Jahrhundert spielt wie Die Gottessucherin, oder um einen Stoff aus der Neuzeit wie Himmelsdiebe. Hauptsache, er betrifft mich existenziell. Es kann also durchaus sein, dass das nächste Projekt wieder ein historischer Roman sein wird. Ein Vorteil, wenn die Geschichte in der Neuzeit spielt: Ich kann mich in meiner eigenen Sprache ausdrücken, muss mich nicht für jede Metapher in eine vergangene Kultur zurückversetzen. Das beflügelt mich beim Scheiben ungemein – ich hoffe, das merkt man bei der Lektüre.
Himmelsdiebe ist letztlich die Geschichte einer großen Leidenschaft, einer ungewöhnlichen Liebe. Was hat Sie an der Geschichte von Laura Paddington und Harry Winter besonders gereizt?
Die Radikalität, mit der sie ihre Vorstellung von der Liebe und vom Leben verwirklichen. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, begegnen einander und entbrennen in einer Amour fou. Alles spricht gegen sie – ihre Familien, ihre Freunde, die ganze Gesellschaft. Doch statt sich den Realitäten zu beugen, entfliehen die beiden der Wirklichkeit, erst aus London, dann aus Paris, um sich im hintersten Winkel Europas, in einem abgelegenen Pyrenäendorf, ihr eigenes Reich zu schaffen – ein Paradies der Liebe und der Kunst. Für eine kurze Weile erfüllt sich ihr Traum vom Himmel auf Erden. Dann aber bricht der große Krieg aus, der ganz Europa erfasst, und ihr Lebenskonzept wird auf die entscheidende Probe gestellt: Was ist stärker – die Leidenschaft, die Welt der Liebe und der Phantasie, die sie miteinander verbindet, oder die brutale, barbarische Wirklichkeit?
Sowohl Laura als auch Harry stehen, in ihrer Kunst, aber auch in ihrer Liebe, für die Unbedingtheit ihrer Träume ein. Sie rebellieren gegen die engen Grenzen, die die bürgerliche Welt ihnen setzt. Aber sie sind auch mit einer Wirklichkeit konfrontiert, der sie nicht entkommen können. Wie sehen Sie diesen Konflikt von Traum und Wirklichkeit in Ihrem Roman?
Der Konflikt von Traum und Wirklichkeit spielt in Lauras und Harrys Leben hinein wie in unser aller Leben. Wir alle haben Träume, Sehnsüchte, Wünsche, doch meistens hat die Wirklichkeit etwas dagegen, dass wir sie uns erfüllen. Dieser Konflikt ist oft eine entsetzliche Erfahrung. Doch zugleich macht er die Spannung des Lebens aus – wie auch die Spannung eines jeden guten Romans. Erst wenn die Wirklichkeit unsere Träume auf die Probe stellt, erfahren wir, wie ernst wir es mit ihnen meinen. Doch nur darin, wie wir uns zu unseren Träumen bekennen und versuchen, sie zu verwirklichen, begreifen wir unser Leben. Und erkennen uns selbst – wer wir wirklich sein wollen, wer wir wirklich sind.
Wenn man so will, leben ja auch wir in einer Zeit der „großen Anpassung“. Sicherheit scheint in Zeiten der Krise mehr wert zu sein als jede Form von Freiheit – von Träumen und Visionen ganz zu schweigen. Ist für Sie Himmelsdiebe indirekt auch ein Kommentar zu dem, was wir heute erleben?
Ich bin kein Soziologe, ich kann nur von mir selber erzählen. Als mein Vater, ein Kaufmann, sich in meiner Studienzeit sorgte, was später aus mir werden sollte, brachte ich ihn mit folgendem Satz zur Verzweiflung: „Das Leben ist zu kurz, um es mit Geldverdienen zu verplempern.“ Damals war ich jung und lebte von der Hand in den Mund. Doch war meine Maxime darum falsch? Als ich die Arbeit an Himmelsdiebe anfing, machte ich gerade eine schwierige Phase durch. Die Finanzkrise fraß in kurzer Zeit meine halbe Altersvorsorge auf, jedermann bedrängte mich, doch lieber einen klassischen historischen Stoff zu schreiben, um gerade jetzt auf Nummer sicher zu gehen – die ganze böse Wirklichkeit schien sich gegen mich verschworen zu haben. Doch was ist die Wirklichkeit gegen einen schönen Traum? Je stärker mir im wirklichen Leben das Lachen verging, umso mehr fühlte ich mich zu den Traumtänzern meines Romans hingezogen. Ich bin ganz und gar eingetaucht in ihre Welt, habe mit ihnen gelacht und geweint, gelitten und gesiegt. Und siehe da: Sie haben mich nicht im Stich gelassen. Kaum hatte ich die ersten hundert Seiten geschrieben, hatte ich die Qual der Wahl, bei welchem Verlag ich den Roman herausbringen sollte. Die globale Finanzkrise war damit, was meine Wenigkeit betrifft, überwunden. Fabula docet: Das Thema meines Romans wurde so zum „Problemlöser“ in meinem wirklichen Leben. Kann es für einen Autor eine schönere Bestätigung geben?
Ziemlich zu Beginn des Romans sagt Laura über ihre Faszination für Harry. „Ich will von ihm sehen lernen! Sehen und Malen! Sehen und Malen und Leben!“ Er ist für sie, die junge Künstlerin, also so etwas wie ein Lehrmeister. Doch im Laufe des Romans verändert sich das Verhältnis der beiden, verändert sich vor allem Laura. Wie würden Sie den Prozess, den Laura durchläuft, beschreiben?
Als die zwei einander zum ersten Mal begegnen, weiß Laura sofort: Das ist der Große Zauberer – der Mann, nach dem sie sich als Kind schon gesehnt hat, der Mann, der sie verwandeln wird. Und tatsächlich, Harry übt solchen Zauber auf sie aus, dass sie fortan nicht nur das Leben mit völlig neuen Augen sieht, sondern auch sich selbst. In seiner Gegenwart, manchmal auch in seinem Bann, wird sie zur Frau und zur Künstlerin. Doch Laura ist ein Zauberlehrling der besonderen Art. Schon bald vergeht ihrem Meister Hören und Sehen. Fühlt Laura sich zu Beginn des Romans durch Harry verzaubert, wird sie am Ende selbst für ihn zur Großen Zauberin – zu einem Rätsel, das Harry lösen muss.
Also geht es auch um die künstlerische Leidenschaft einer außergewöhnlichen Frau? Darum, wie sie – trotz und bei aller Liebe – ihre eigene Handschrift findet?
Die künstlerische Leidenschaft ist nur ein Teil von Lauras Entwicklung – worauf es wirklich ankommt, ist die Leidenschaft, mit der sie grundsätzlich lebt und ihren eigenen Weg geht: bedingungslos, ohne Netz und doppelten Boden. Diese Unbedingtheit treibt sie sogar über Grenzen hinaus, vor denen Harry zurück weicht. Sowohl in der Kunst als auch im Leben.
Wieso der ja doch etwas ungewöhnliche Titel Himmelsdiebe?
Bei dem Titel hat meine türkische Frau Patin gestanden. „Diese Stunde haben wir dem Himmel gestohlen“, sagt man im Türkischen, wenn man einen Augenblick besonderen Glücks erleben durfte. Solche Himmelsdiebe sind Laura und Harry, und von ihrer Himmelsbeute erzählt mein Roman. So oft sie auch auf den harten Boden der Realitäten aufschlagen, immer wieder gelingt es ihnen, eine Stunde des Glücks dem Himmel abzutrotzen.
Also so etwas wie „Himmelsstürmereien“. Wie steht es bei Ihnen als Autor um das Verhältnis von Phantasie und Wirklichkeit? Gab es so etwas wie Vorbilder für Ihren Roman?
Nicht in der Literatur, wohl aber in der Wirklichkeit. Ich habe meinen Roman einer Jahrhundertliebe gewidmet – Laura und Harry hat es, wenngleich natürlich unter anderen Namen, tatsächlich gegeben. Dennoch ist Himmelsdiebe keine Tatsachen-Biografie. Vielmehr ist der Roman ein in künstlerischer Freiheit gestaltetes Porträt zweier Liebender, die Geschichte einer Frau und eines Mannes, die mit ihrer Liebe und ihrer Kunst das Licht der Menschlichkeit am Leben erhielten in einer der finstersten Epochen Europas. Mit ihren Hoffnungen und Ängsten, mit ihren Zweifeln und Verzweiflungen, mit ihren Sehnsüchten und Ausflüchten verkörpern und kommentieren sie das Schicksal eines ganzen Kontinents, in der Mitte des 20. Jahrhunderts.