Triggerwarnung: Depression, Suizid
Das Jahr ist fast vorbei und die letzten Tage gehen mir viele Gedanken durch den Kopf.
Habe ich dieses Jahr verschwendet?
Immerhin bin ich jetzt schon so lange krankgeschrieben, so lange raus aus meinem „vorigen“ Leben. Bin ich nutzlos? Was trage ich denn noch zur Gesellschaft bei?
Diese Fragen habe ich auch mit meinem Therapeuten besprochen und lange diskutiert.
Ich versuche jetzt, es anders zu sehen: Ich habe dieses Jahr nicht verschwendet. Ich war (und bin es noch immer) einfach richtig, richtig schwer krank.
Wenn ich darüber nachdenke, dann war ich dem Tod oft näher, als dem Leben. Mehrfach habe ich in diesem Jahr versucht, alles zu beenden. Und die Gedanken daran, wie diese Welt ohne mich wäre, die haben mich beinahe täglich begleitet. So viele Stunden, Tage, Monate habe ich damit verbracht, wortwörtlich um mein Leben zu kämpfen. Darum, dass ich bleibe. Dass ich weitermache. Irgendwie. Auch wenn der Körper schmerzt, die Seele brennt und ich einfach nur alles beenden will.
Wenn die Leere so allumfassend ist, dass sie mich zu verschlingen droht.
Teilweise bin ich wirklich auf Knien gerobbt. Wenn mir die Beine nach einer Panikattacke den Dienst versagt haben. Wenn ich so stark gezittert habe, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich bin in diesem Jahr durch meine Depression so oft an meine Grenzen gekommen, ich kann das gar nicht mehr zählen.
Depressionen sind kein Spaß.
Mein Herz schlägt wie verrückt und mir ist gerade ein bisschen schlecht.
Das so niederzuschreiben, ist wirklich nicht einfach.
Aber ich will ehrlich sein: Depressiv zu sein, das ist absolut kein Spaß.
Und eine schwere Episode durchzustehen, das ist noch weniger witzig.
Man ist nicht einfach „nur ein bisschen traurig“. Ein bisschen verpeilt. Ein bisschen unfähig, den Haushalt auf die Reihe zu kriegen.
Es ist so viel mehr. Es tut so viel mehr weh.
Wie oft habe ich im letzten Jahr versucht, stark zu sein. Stark für mich, stark für den Alltag, den ich versucht habe, irgendwie aufrecht zu erhalten.
Doch ich bin immer und immer wieder gestolpert. Wollte nicht einsehen, dass ich das einfach nicht schaffe.
Der erste Klinikaufenthalt Mitte des Jahres hat mir unsagbar geholfen. Er hat mir in diesem Jahr wirklich das erste Mal das Leben gerettet.
Ich konnte schwierige Aufgaben abhaken, die mir lange das Leben schwergemacht haben. Ich habe Freund*innen gefunden, die mich auf eine Weise aufgefangen haben, für die ich sehr dankbar bin.
Die Hilfe kam genau zur richtigen Zeit und ich konnte sie zum Glück annehmen.
Aber auch diese Zeit konnte natürlich nicht alles retten, was vorher schon schiefgelaufen war.
Ein erneuter Fall…
So ging es mir einige Zeit ein wenig besser. Dann kamen wieder riesige Hürden aus dem Nichts auf meinen Weg gesprungen und haben mir erneut den Boden unter den Füßen weggerissen.
Das war eine dunkle Zeit und ich hatte das Gefühl, wirklich komplett allein zu sein. Niemanden zu haben.
Auch Freund*innen möchte ich mit meinem Kram nicht immer belasten. Das ist auf Dauer auch einfach keine Lösung.
Zum Glück fand ich gegen Mitte des Jahres dann nach monatelanger Suche auch endlich einen Therapeuten, dem ich vertraute.
Und der mir mit den Gesprächen seither unsagbar geholfen hat.
Die in mir sehr viel aufrütteln, aber auch gerade ziehen.
Ich habe gelernt, dass man um die Liebe und Aufmerksamkeit mancher Menschen lange kämpfen kann. Und sich dabei am Ende doch nur selbst kaputtmacht. Denn diese Menschen nutzen deine Schwächen, um dich immer wieder erneut zu Fall zu bringen. Manche Erkenntnisse waren wirklich unglaublich schmerzhaft. Da sind Wunden entstanden, die noch immer nicht verheilt sind und wohl auch noch eine ganze Weile bleiben werden.
Denn um die Liebe mancher Menschen will man fast schon ewig kämpfen. Und ehe man nicht alles versucht hat, kann man einfach nicht loslassen. Manchmal soll es einfach nicht sein. Aber das werde ich in diesem Fall auch irgendwann noch lernen.
Um die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen habe ich auch fast mein ganzes Leben lang gekämpft. Und irgendwann habe ich es beendet. Das ist jetzt über fünf Jahre her und mittlerweile geht es mir gut damit. Ich habe es abgehakt. Es fühlt sich nur noch selten nach einer Art Phantomschmerz an. Und das ist ok und es vergeht auch wieder. Aber das ist ein anderes Thema.
Ich habe überlebt.
Wir waren ja beim Thema, ob ich dieses Jahr verschwendet habe.
Nein, habe ich nicht. Ich war vielleicht nicht so produktiv, abenteuerlustig und humorvoll in diesem Jahr, wie andere Menschen, aber ich habe mein Jahr nicht verschwendet.
Ich habe sehr viel über mich gelernt. Habe mich unzähligen Herausforderungen gestellt und ich habe überlebt.
Das muss ich noch mal herausstellen: Ich habe überlebt.
Und ich glaube, das war in manchen Momenten wirklich eine starke Leistung.
Vor der Zukunft und vor dem nächsten Jahr habe ich ein wenig Angst. Wer weiß, was da alles so kommt. Aber ich hoffe, in genau einem Jahr habe ich wieder eine Perspektive und dann schreibe ich ganz andere Zeilen zum Jahresabschluss.
Ein Vorsatz fürs nächste Jahr
Mein Vorsatz fürs nächste Jahr ist auf jeden Fall, dass ich besser auf mich aufpassen möchte.
Ich darf mich nicht selbst so überfordern, muss mich noch besser abgrenzen und standhaft bleiben. Damit es mir gutgeht.
Denn das dürft auch ihr nie vergessen: Ihr seid die wichtigste Person in eurem Leben. Um euch müsst ihr euch an erster Stelle kümmern. Nicht um das Wohl der Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen und Freund*innen. Ihr müsst für euch an allererster Stelle stehen. Das klingt so egoistisch, aber es ist wichtig.
An manchen Stellen ist Egoismus wichtig.
Wenn es euch nicht gut geht, dann lasst euch helfen!
Noch ein ganz wichtiges Learning von mir in diesem Jahr. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche. Wenn ihr jemandem unter die Arme greift, dann denkt ihr ja auch nicht schlecht von demjenigen. Und einem selbst fällt es meist so schwer, um Hilfe zu bitten, oder auch, sie einfach anzunehmen.
Geht mir ganz genauso. Nur manchmal schafft man es einfach nicht allein. Und dann zeugt es von Stärke, wenn man die Hilfe anderer Menschen in Anspruch nimmt. Seien es nun Freund*innen, Ärzt*innen oder Therapeut*innen.
Wichtige Erkenntnise
Was ich auch noch wichtig finde:
Sagt anderen Menschen, wie sie euch helfen können.
Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit jemandem z.B. während einer Panikattacke umgehen sollen. Das ist auch unglaublich individuell.
Aber es hilft, wenn euer direktes Umfeld weiß, was im Fall der Fälle zu tun ist.
Das war für mich sehr gut, damit ich mich in dieser Situation auch weniger hilflos gefühlt habe. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich muss da, im Fall der Fälle, nicht alleine durch.
Oder wie kann euch jemand helfen, wenn die schwarzen Gedanken gerade wirklich richtig schlimm sind. Wie merkt derjenige das und was kann man dann tun?
Es mag beim ersten Mal eine Überwindung sein. Doch ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen in Bezug auf Mental Health wirklich hilflos sind. Da ist es dann wichtig, einfach drüber zu reden. Das hat jedenfalls mir oft geholfen.
Ich habe den Kampf um mein Leben und gegen die Depression in diesem Jahr gewonnen.
Klingt das pathetisch? Mag sein, aber es ist die Wahrheit.
Auf ins nächste Jahr. Ich hoffe, es wird weniger kampflustig…
7 Kommentare
Danke für diesen Beitrag!
Ich kann in etwa nachfühlen wie du dich gefühlt hast, ich leide selber an Depressionen. Allerdings war ich nie so weit, dass ich den Gedanken hatte mein Leben beenden zu wollen.
Es freut mich, dass du dir Hilfe geholt und einen Therapeuten gefunden hast, dem du vertraust. Das ist wichtig!
Ein mutiger und wichtiger Beitrag, Danke dafür.
Ich wünsche dir für das neue Jahr weiterhin viel Kraft, Mut und Lebenswillen und hoffe, dass es für dich wieter Stück für Stück bergauf geht. 🙂 Nicht aufgeben bitte!
Liebe Grüße,
Sandra
Liebe Ramona,
erstmal danke das du uns hast an deinen Gedanken und deinem Leben hast teilhaben lassen. Ich bin ja selber seit bald 3 Jahren krank geschrieben wegen Depressionen und Angststörung. Ich kann deine Gedanken also ehr gut nachvollziehen. Ich hab mich auch oft gefragt wie es wäre wenn ich nicht mehr da bin. Doch den Schritt es überhaupt zu versuchen hab ich nie gemacht. Denn dazu lebe ich dennoch viel zu gerne und ich hab einfach die Hoffnung des doch wieder besser wird, auch wenn ich damals meinte das ich nach 3-4 Monaten wieder zur Arbeit kann. Tja, nach knapp 3 Jahren bin ich wie gesagt, noch immer im Krankenstand.
Auch wenn es schwierig ist darüber offen zu schreiben oder zu reden, find ich es eben auch wichtig. Denn es gibt noch viel zu viele Vorurteile und auch ich hab in meinem Blog das ein oder andere dazu geschrieben. Vielleicht interessiert es dich ja und magst mal rein lesen 😉 https://gedankenfluege.ch/category/alltagswahnsinn/leben-mit-depressionen/ Aber es ist natürlich kein muss.
Oh ja, das um die Liebe eines Menschen kämpfen, um Aufmerksamkeit, um wahrgenommen zu werden. So wie man ist, akzeptiert und so…. auch das kenn ich sooooo gut. Und ich bin grade dabei, diesen Schritt zu machen, los zu lassen. Obwohl ich weiss das dieser Mensch mit nicht guttut, es noch nie getan hat, hab ich nicht nur Angst, ich hab ein schlechtes Gewissen und es tut so weh das zu akzeptieren wie der andere mich sieht oder mich behandelt.Es braucht so viel Kraft, die man eigentlich gar nicht mehr hat, weil man viel zu lange die Macht diesem menschen überlassen hat. Aber ich hoffe für dich, für uns, das wir das endlich hinbekommen.
Genau!! Das Jahr ist sicher nicht verschwendet!! Hallo!? Du hast so viel gekämpft, so viel gelernt, vielleicht sehr viel mehr als andere dieses Jahr. Also sei stolz. Ja, ich weiss… Jemandem das sagen und meinen ist eines, es für sich in Anspruch nehmen das andere *hust* Auch mit der Angst aufs neue Jahr bin ich bei dir, auch wenn ich gleichzeitig froh bin dass das alte endlich vorbei ist. Ich wünsch dir fürs neue Jahr das die leichten, und schönen Momente wieder zu nehmen. Die Sorgen weniger werden und das es dir bald wieder gut geht.
Was für schöne Schlussworte und was für wichtige! Ja, Hilfe annehmen fällt auch mir schwer, schlussendlich sind wir ja nur in der Situation weil wir immer dachten das wir da alleine durch müssen. Man setzt Masken auf um die anderen nicht zu belästigen, ihnen zu zeigen was sie von einem erwarten. Ja, offen sein und sagen was ist, ist wichtig. Nur schon um nicht allein zu sein. Denn das waren wir genug lange.
Ich wünsch dir alles Liebe, Gute und ganz viele schöne Momente im neuen Jahr. Und neue Erkenntnisse und kleine Etappenziele in der Therapie 😉 Wir schaffen dass!
Herzlich, Alexandra
Liebe Ramona,
danke für deine Offenheit zu diesem Thema, das leider immer noch zu sehr „tot“geschwiegen wird, als ob allein das Gespräch darüber so verwerflich ist, dass man lieber den Mund hält.
Ich finde es wichtig, die eigene Erfahrung dazu mit der Community zu teilen, weil es doch viel mehr Menschen gibt, die ähnliche Probleme haben und ein wenig Stärkung gebrauchen können.
Gedanken wie „Ich bin doch einfach nur faul“ oder „Andere in meinem Alter haben doch die gleichen Hürden zu meistern, warum schaff ich das nicht?“ kenne ich nur zu gut und ich habe es satt, von meiner Ärztin Kommentare a lá „Nimm es einfach nicht so schwer“ zu bekommen. Damit ist niemandem geholfen.
Die Suche nach einem guten und sympathischen Therapeuten ist so schwer, da beneide ich dich tatsächlich ein bisschen, dass du deinen „richtigen“ gefunden hast. Aber andererseits gönne ich es dir aus ganzem Herzen.
Mein damaliger Therapeut hat mir leider gar nicht gut getan und mich in der schlimmsten Zeit vor einem Jahr dann überhaupt nicht mehr verstanden. Seitdem komme ich irgendwie allein über die Runden.
Dieses Jahr hast du auf keinen Fall verschwendet. Ich sehe das so: Du hast dich härter angestrengt, das Jahr zu vollenden, als die Menschen, die kerngesund sind. Du hast wortwörtlich um dein Überleben gekämpft und das verdient so viel Respekt! Dafür bewundere ich dich. Und für 2020 drücke ich dir alle mir zur Verfügung stehenden Daumen, dass du deinen Weg weiterverfolgst und deine Ziele erreichst. Es müssen ja nicht sofort Meilensteine sein, ganz ganz kleine Ziele tun es doch auch für den Anfang.
Pass auf dich auf!
Isa
Ein sehr offener Beitrag über dich. Danke, du gibst vielen damit bestimmt Mut, durchzuhalten.
Ich wünsche dir einen guten Rutsch und ein schönes Jahr 2020.
Liebe Grüße
Diana
Liebe Ramona,
diese Zeilen zu verfassen, zu veröffentlichen, der Welt zu geben, das ist ein riesen Schritt und zeigt einen unbändigen Lebenswillen! Kämpfe weiter, sei mutig, sei stark, aber auch mal kraftlos und hilfebedürftig, denn wie du schon sagst, es gibt Dinge, die schafft man nicht allein.
Du hast den richtigen Weg gewählt und ich wünsche mir, dass du mit diesem Beitrag Menschen mit einem ähnlichen Schicksal dabei hilfst, sich vielleicht ein stückweit zu öffnen.
Liebe Grüße
Tina
Liebe Ramona,
vielen Dank für den wirklich wichtigen Beitrag und vielen Dank auch, dass du weiter kämpfst und so stark bist.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sehr so eine Krankheit einen an den „einfachsten“ Dingen im Leben hindert.
Letztes Jahr hatte ich das erste Mal eine Situation auf der Arbeit, die mich so belastet hat, dass ich ebenfalls ein Stück weit in Depressionen gefallen bin. Zum Glück hatte ich eine tolle Ärztin, die mich schnell aus der Situation geholt hat. Noch nie hatte ich so sehr das Gefühl im Druck, der mir auf der Arbeit aufgrund der Situation auferlegt wurde, unterzugehen. Diese Ohnmacht und Hilflosigkeit wünscht man wirklich keinem, daher fühle ich sehr mit dir.
Mittlerweile geht es mir wieder viel besser, da ich meinen Job gewechselt habe und jetzt mit Menschen zu tun habe, die mich und meine Leistung zu schätzen wissen. Trotzdem nagen die Erinnerungen hin und wieder an mir.
Liebe Grüße
Mona